Abstieg zum Nordkalottleden
Der Tag beginnt so schön, wie der vorherige aufgehört hat. Ich verschlafe aber und wache erst auf, als die Sonne auf die Zeltseite scheint. Für den Tag erwarte ich eine einfache Tour ohne große Hindernisse. Genau das richtige für einen Sonntag. Zunächst muss ich zum Nordkartlottleden absteigen und auf diesen überwiegend abwärts zum Pieskehaure wandern. Die Hütte hat leider dieses Wochenende schon zugemacht. Ich bin also einen Tag zu spät.
Gegen 9:40 komme ich los und peile mit der Hilfe des GPS die Stelle an, an der der alte Weg entlang des Varvvekjåhkå vom Nordkalottleden abzweigt. Der Abstieg ist einfach, sodass ich über Wiesen eine gerade Linie gehen kann. Als ich im breiten Talgrund stehe, halte ich Ausschau nach einer Wegmarkierung. Erst einmal sehe ich nichts. Nachdem ich aber einen aufgerichteten Stein entdeckt habe, sehe ich ganz viele und kann es kaum glauben, dass ich eben noch nach ihnen suchen musste. Der Nordkartlottleden hat mich also wieder. Und so sehr ich mich über den Trampelpfad freue, umso sehr verfluche ich ihn bald, denn er nimmt jeden Hügel mit. Und von diesen kleinen Hügeln gibt es einige.
Ich bin genau an der Abzweigung herausgekommen. Der alte Verlauf des Nordkalottledens am Varvvekjåhkå entlang und zwischen Stuor Varvvek und Tsäkkok hindurch ist gut zu erkennen und sogar noch mit Steinmännchen markiert. Ich will aber zum Pieskehaure, auch wenn die Hütte bereits geschlossen hat und folge den Nordkalottleden. Nach 200 Metern überschreite ich laut Karte die Grenze zwischen den Gemeinden Jokkmokk und Arjeplog.
Eine Rentierherde kreuzt meinen Weg. Zu den Nachzüglern gehört auch ein Muttertier mit Jungen, welches mich interessiert anschaut. Dann schnell zur Mutter läuft. Der Schwanz wird dabei hochgeklappt und leuchtet weiß. Das Mutterrentier lässt sich erst zur Flucht anstecken, findet dann aber Fressen interessanter als so einen Wanderer. Kaum erreicht das Jungtier die Mutter, wird erst einmal getrunken. Ebenfalls mit aufgeregt aufgestellten Schwanz. Das habe ich noch nie gesehen und so beobachte ich die beiden bis die Mutter genug hat und dem Jungen mit einem Tritt zu stehen gibt es sei nun aber genug.
Am Varvvekjåhkå
Um 11:15 erreiche ich den Varvvekjåhkå. Die Brücke hat es bereits 2019 zerlegt und nur der Aufgang am anderen Ufer steht noch. Es sieht irgendwie so aus als sei es eine Rampe zum Abspringen. Zum Glück gibt es eine stabile Ersatzbrücke etwas oberhalb. Am anderen Ufer liegen bereits Teile für den Bau der permanenten Brücke. Mein Magen meldet sich. Es ist Zeit fürs morgendliche Knäckebrot.
Es geht weiter über Hügel und an Sümpfen vorbei. Die Wegmarkierung besteht oft aus zwei orange bemalten und aufgerichteten Steinen, die wie ein Tor da stehen und durchschritten werden. Der Sulitelma beherrscht die Landschaft, ansonsten bin ich von runden Bergen umgeben, die alles andere als aufregend sind. Langsam zieht der Herbst ein und die ersten Bodensträucher verfärben sich rötlich. Der Varvvekjåhkå mäandert nun durch das Feuchtgebiet Varvvekrähto. Auf der anderen Seite sehe ich eine kleine Holzhütte und vermute dort den Platz der ehemaligen Varvekstugan. Sie war die erste Fjällstuga des STF und wurde 1888 erbaut. Das baufällige historische Gebäude wurde jedoch um 2000 abgerissen.
Der Wanderweg führt mich nun vom Varvvekjåhkå weg und weiter zum Varvvekjávvre. Ein Steg führt über den Seeabfluß. Ich habe rund die Hälfte der Strecke nach Pieskehaure und da es schon kurz vor ein Uhr ist, mache ich an diesem schönen See meine Mittagspause. Trotz Sonne weht ein kalter Wind. Kocher auspacken, Wasser für die Instantnudeln kochen, essen, alles wieder einpacken und noch etwas die Sonne genießen. Schnell sind 45 Minuten um.
Kurz hinter dem See habe ich wieder einen schönen Blick auf den wolkenfreien Sulitelma. Große Flächen des Stuorrajiegŋa-Gletscher sind frei von Schnee und das bläuliche Eis schimmert in der Sonne. Vor mir tauchen die Gipfel vom Nuortta und Årjep Sávllo auf. Nur der Pieskehaure kommt nicht in Sicht. Reife Blaubeeren am Wegesrand versüßen den Nachmittag und als ich auf besonders viele treffe, pflücke ich welche für später. Der Nordkarlottleden führt nun zwischen Labbá und Stuor Varvvek entlang. Es zieht sich und vom See ist weiterhin nichts zusehen.
Der Pieskehaure kommt in Sicht
Die Sonne scheint mir bereits unangenehm ins Gesicht, als ich endlich an den beiden kleinen Seen auf 780 Meter Höhe kurz vor Uhtsa Lájrro das erste Mal den Pieskehaure sehen kann. Der Weg erklimmt einen Hügel und dann liegt er vor mir. Das Wasser glitzert im Gegenlicht und kräuselt sich vom Wind. Bis zum Ufer sind es rund 5 Kilometer Luftlinie und 200 Höhenmeter Abstieg. Die Hütten an der Mündung des Varvvekjåhkå kommen ein ganzes Stück später in Sicht. Wie erwartet weht keine Fahne mehr, denn heute ist der Schlusstag der Saison. Für mich stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt lohnt bis zur Hütte zu wandern oder schon weiter oben das Zelt aufzubauen. Sehr Windgeschützt sieht es dort unten nicht aus. Als ich eine schöne ebene Fläche windgeschützt hinter einer Bodenwelle und mit Ausblick auf Pieskehaure und dem norwegischen Teil des Sulitelma ist die Frage einfach beantwortet.
Wie immer sende ich nach dem Zeltaufbau meine Position mit dem inReach nach Hause. Anschließend rufe ich einen Wetterbericht ab. Die Kontaktaufnahme zum Satelliten kann dabei einige Minuten dauern. Ich koche einen Tee. Als der Ton für den Nachrichtenempfang schrillt, steht fest, dass es morgen nicht so schönes Wetter wird. Vor allem ist starker Wind angesagt, aber auch Regenschauer. Bis dahin kann ich aber noch die Sonne genießen und hole die Karte hervor. Was sehe ich hier eigentlich alles. Zwischen Lájrro und Labbá hindurch kann ich den Stortoppen und Sállajiegŋa des Sulitelma-Massivs erkennen. Sie liegen auf der Ostseite und gehören schon zu Norwegen. So dicht an Norwegen war ich diesen Urlaub noch nicht. Bis zum Grenzstein R238 sind es keine 6 Kilometer Luftlinie. Am Lájrrojåhkå entlang führt eine Route bis nach Sulitjelma. Die andere nordwestliche Seeseite wird von Suopllunåjvve, Áhkáris und Nuortta Sávllo bestimmt. Nach Süden versperrt mir der Dälbut die Sicht. Die davor liegende Pieskehaurestugan wirkt weiterhin wie ausgestorben. Seit Stáloluokta habe ich mit niemanden mehr gesprochen und die letzten Menschen habe ich vor vier Tagen an der Brücke über den Viejejåhkå gesehen. Es ist hier einsamer als der Sarek.
Pieskehaure Hütte
Lage: Nordkalottleden, am See Bieskehávrre (Pieskehaure)
Lat/Long: 67°1'54" N, 16°31'46" E
Anzahl Betten: 26-50
Proviantverkauf: ja
STF Pieskehaure Fjällstuga (Betreiber: STF Svenska Turist Foreningen)
10.2024