Die Aussicht ist am morgen genauso schön wie am Abend. Ein paar Wolken sind am Himmel, aber das Blau überwiegt. Ausnahmsweise habe ich mein Tagesziel bereits am Morgen vor Augen. Der Skierffe ist knapp 4,5 Kilometer Luftlinie entfernt. Das ist eigentlich nur eine Katzensprung entfernt.
Und wie immer hat etwas seine Tücken wenn es leicht und nah aussieht. Als erstes muss ich mit dem Nammásjjåhkå noch den letzten Fluss überwinden. Ich brauche rund eine halbe Stunde um bis zu einer guten Watstelle auf 1100 m Höhe zu gelangen. Die Querung dort ist einfach.
Anschliessend gilt es südlich des Gierdogiesjtjåhkkå vorbei auf die große Ebene zwischen Gierdogiesjtjåhkkå und Skierffe zu gelangen. Auf der Karte wird die Ebene Tjasskávárásj benannt, nur várásj heißt kleiner Berg. Von einem Hügel, geschweige Berg, ist aber nichts zu sehen. Nach der Querung des Nammásjjåhkå gehe ich auf der Konturlinie nach Südosten. Es wird immer felsiger. Am kleinen Pass südliche des Gierdogiesjtjåhkkå sorgt ein Schneefeld in der Senke, dass ich mich mehr nördlich orientiere. Zwar ist hier eine Art Pfad, aber ich komme so in blockreiches Gelände. Aus der Ferne kommen Stimmen die ich eine ganze Zeit nicht zuordnen kann. Dann entdecke ich die ersten Rentiere in der Ebene. Und beim zweiten Blick sehe ich, dass die ganze Ebene von einer großen Herde bevölkert ist.
Inzwischen komme ich nicht mehr gut vorwärts. Grosse Felseblöcke türmen sich auf. Irgendwie muss ich hier raus. Ich bin auf 1170 m Höhe und die Grasfläche liegt fast 200 m unter mir. Nichts wie runter. Ich gehe langsam. Immer wieder treffe ich auf menschliche Spuren. Wo häufig Menschen auf einen Trittstein treten wächst kein Moos. Es sind also schon einige in diesem Blockfeld gelandet.
Ich brauche über eine Stunde bis ich unten bin. Dort empfangen mich Rentiere. Ich mache Pause und beobachte sie, während sie langsam grasend an mir vorbei Richtung Skierffe ziehen. Sie mögen die Felsen offensichtlich auch nicht, denn einer felsigen Stelle gibt es Stau. Erst kümmern sie sich nicht besonders um mich, aber dann werde ich ihnen unheimlig und sie beschleunigen ihr Tempo. Als ich mich ebenfalls in diese Richtung aufmache, kommt noch einmal ein Schwung Nachzügler, die von hinten an mir vorbei stürmen.
Die Ebene ist voll mit Rentieren. Drum herum gehen funktioniert nicht. Ich bewege mich also langsam und ruhig zwischen den Tieren durch. Hier treffe ich auch Glöckchen wieder. Es gibt weitere weiße Rentiere. Als ich in der Mitte der Ebene ankomme, bricht Unruhe aus und eine größere Herde setzt sich in Bewegung. Nur einer nicht. Ein großer weißer Renhirsch folgt mir gemächlich mit gut zweihundert Meter Abstand. Er hat zum Glück eine Glocke um, wer weiß ob er plötzlich von hinten auf mich los läuft. Langsam wird er mit unheimlich. Aber dann verliert er das Interesse (oder ich stelle für seine Familie keine Gefahr mehr da) und bleibt stehen.
Ich möchte im Sattel des Skierffe zelten und dann von dort zum Gipfel gehen. Auf 1015 m finde ich eine kleine Terrasse auf der ich mein Zelt mit Blick zum Nammásj aufbaue. Wasser ist etwas weiter hangabwärts zu finden. Ein Rinnsal plätschert zwischen Weidengestrüpp. Nicht besonders gut, aber etwas Besseres finde ich nicht. Es ist erst kurz nach 15 Uhr, aber inzwischen hat es sich zugezogen. Regen kündigt sich an. So kurz vorm Gipfel und nun verabschiedet sich das schöne Wetter. Mit der nahenden Regenfront macht es aber auch keinen Sinn noch schnell auf den Gipfel zu stürmen. Ich weiche schon mal das Abendessen ein, Grünkohl mit Kassler und Kartoffeln. Zwischenzeitlich bekomme ich Besuch von Rentieren. Sie weiden um mein Zelt. Einzelne schauen neugierig, wenn sich unsere Blicke treffen. Inzwischen regnet es auf der Ebene. In der Mitte der Ebene wird ein Zelt aufgebaut. Weitere Wanderer passieren meinen Zeltplatz und vertreiben damit meine tierischen Besucher.
Es ist 19 Uhr, als ich mit dem Abendessen fertig bin und überraschend die Sonne durchbricht. Nichts wie raus aus dem Zelt - der Gipfel ruft. Ich gehe nicht direkt zum Gipfel, sondern orientiere mich halb zwischen Sattel und Gipfel. Von der anderen Seite des Sattels kommt ein Weg hoch vom Kungsleden, auf den ich recht schnell stoße, und der mich bequem zum Gipfel bringen soll. Ich komme schnell an das erste Steinmännchen. Als ich mich umdrehe, sehe ich zwei weitere Wanderer die mir folgen. Sie haben unweit meines Zeltes ebenfalls ihr Lager aufgeschlagen, welches gut zwischen Felsen versteckt ist. Es handelt sich um zwei Norweger. Zusammen schauen wir bei strahlend blauen Himmel ins farbenprächtige Laitauredeltat hinab. Von den Wolken ist nichts mehr zu sehen.