Am Donnerstagmorgen besteige ich den Zug nach Chur. Dort angekommen wechsel ich in den Postbus, welcher mich in 90 Minuten nach Marmorera Scalotta unterhalb der Staumauer des Stausees Lai da Marmorera bringt. Nur wenige Häuser stehen hier, die Bushaltestelle liegt direkt am großen Gruppenhaus. Um 8 Uhr komme ich an. Es wirkt etwas verlassen hier. Ein geteerter Fahrweg führt mich direkt an die Basis des Staudamms. Von hier führt mich ein Fahrweg durch den Wald an der Ostflanke des Bergs Tgarnet entlang. Die Sonne brennt vom Himmel und so ist der Schatten willkommen. Am Punkt 1740 wird aus dem Fahrweg ein schmaler Wanderweg. Zwei Wanderer, die auf dem Walser-Fernwanderweg unterwegs sind, kommen mir entgegen. Es geht nun steil bergan. Um die Nordflanke des Tgarnet herum, schlängelt sich der Weg ins Val da Faller. Nach einem steilen Abstieg lande ich auf der Fahrstraße zur Walsersiedlung Tga.
Nach einer Kurve erreiche ich die Lichtung Plaz. Eine Bank lädt zum Verweilen ein und so setze ich meinen Rucksack ab und mache Pause. Es ist kurz vor 12 Uhr. Neben mir rauscht der Ragn da Faller. Auf der Karte ist ein steiler Wanderweg durch den Lärchenwald eingezeichnet. Der ausgeschilderte Walserweg folgt dagegen der Asphaltstraße und windet sich auf der anderen Flussseite in Serpentinen rund 250 Höhenmeter hoch. Während ich esse, tritt plötzlich eine Wandergruppe auf die Lichtung und so sehe ich, wo der Pfad durch das Naturwaldreservat beginnt. Hier in Plaz wurde im 7. Jahrhundert vor Christus bereits Kupfer verhüttet. An der Brücke über den Ragn da Faller liegt ein Rastplatz mit Feuerstelle. Hier beginnt auch der Bergwanderweg durch den Lärchenwald.
Ich verlasse also die Teerstraße und quere die Wiese. Kaum bin ich im Wald, geht es steil in gerader Linie bergan. Ich bin froh, als der Weg endlich der Höhenlinie folgt. Auf der anderen Talseite erspähe ich die Walsersiedlung Arnoz. Der Wald wird lichter und schließlich erreiche ich Tga. Eine schmale Brücke erlaubt das Queren des rauschenden Ragn da Faller. Ich bleibe jedoch auf der Südseite und wandere weiter Richtung Val Bercla. Unten im ebenen Tal liegt die letzte der drei Walsersiedlungen Plang. Der Wanderweg führt hoch über dem Tal am Hang entlang.
Im Val Bercla erreiche ich den Talgrund. Am Fluss Ragn das Val Bercla entlang geht es durch das einsame Tal. Auf der Höhe der Seen Lajets ergeben sich die ersten Zeltmöglichkeiten. Vieh sehe und höre ich hier oben keines, aber vielleicht grast es auch nur weiter oben am Hang. Ich werde von einem Bergläufer überholt. Meine Beine sind schon lahm, aber es ist noch recht früh und so komme ich Schritt für Schritt meinem Ziel näher. Gegen 17 Uhr erreiche ich das Plateau mit dem See Lai Neir auf 2473 Meter. Ich muss den Ragn das Val Bercla queren und suche mir eine angenehme Stelle. Trocken am anderen Ufer angekommen fülle ich am rauschenden Bergbach noch mein Trinkwasser auf und kraxel die Uferböschung hoch. Hoffentlich warten oben keine Kühe auf mich.
Kühe sind keine da und so habe ich den Lai Neir für mich. Ich suche mir einen ebenen windgeschützten Platz für mein Zelt. In meinen Crocs teste ich das eiskalte Seewasser. Weiter als für ein erfrischendes Fußbad gehe ich aber nicht ins Wasser. Zu Abend gibt es Spaghetti mit Shrimps. Schon bald verschwindet die Sonne hinter dem Berg und es wird gleich kühler. Rund 1000 Höhenmetern habe ich heute überwunden. Und so verschwinde ich bald ins Bett. Ich Halbschlaf höre ich noch Steine den Hang herab kullern und in den See platschen. Welches Tier mag das sein? Oder hat die Sonne das Erdreich aufgetaut? Zu einer Antwort komme ich nicht, denn ich schlafe schnell ein.