Ich wache auf und höre Kuhglocken. Kommen sie etwa näher? Ein Wolkenbank zieht über den Julierpass,. Die Berggipfel auf der anderen Talseite sind aber wolkenfrei. Ich frühstücke und packe ein. Immer wieder ziehen Wolken ins Tal und so verabschiede ich mich im Wolkennebel vom Leg Grevasalvas. Ich quere den Seeabfluss. Auf der anderen Seite geht es 50 Meter steil hoch. Zwei Wanderinnen kommen mir entgegen. Sie wollen bis zum Pass hinauf. Noch immer höre ich Kuhglocken, aber sehe keine Kühe. Über Wiesen geht es nun 200 Höhenmeter hinab zum Ospizio in La Veduta. Der Julierpass liegt weiter oben, aber da ich weiter ins Val d' Agnel möchte verzichte ich auf den eigentlichen Pass mit dem roten Theaterturm. Endlich sehe ich auch die Kühe zu den Glocken.
Am Ospizio quere ich die Passstraße und nutze die Gelegenheit meinen Müll zu entsorgen. So auf 200-300 Gramm schätze ich den Abfall der ersten Tage. Es sammelt sich doch immer einiges an. Die Wolkendecke hängt tief über mir. Da ich die Gipfel am Morgen gesehen habe hoffe ich, dass es weiter oben wolkenfrei ist und wandere weiter ins Val d' Agnel. Unterwegs gibt es Informationstafeln, die zur Explora-Wanderung vom La Veduta durch das Val d' Agnel und Val da Natons nach Bivio führt. Gleich am Anfang kann man 2000 Jahre alte Karrenspuren der Römer bewundern. Ich verpasse die erste Station jedoch, da ich einem anderen Trampelpfad folge. An der jungen Gelgia entlang führt der Wanderweg bergan. Ich passiere eine kleine Schlucht. Oberhalb weitet sich das Tal. Von Westen ziehen immer wieder Wolken durch das Tal und so wechselt sich Nebel mit blauen Himmel ab. Hinter mir wandert eine Familie und eigentlich müssten sie schneller sein. Aber immer, wenn ich eine Pause mache, machen sie auch eine.
Ich erreiche eine flache Ebene. Hier war einmal ein See, welcher mit der Zeit mit Sedimenten gefüllt wurde und nun trocken ist. Am nördlichen Ende der Ebene zweigt der Wanderweg am Punkt 2537 zum Pass Fuorcla digl Leget ab. Weiter oben befindet sich das Dolomit-Felsentor von d' Agnel. Weiter nach Norden führt der Wanderweg über den Fuorcla d' Agnel zur Chamanna Jenatsch. Die Sonne scheint und so suche ich mir an der Weggabelung ein Plätzchen für eine Pause und packe meinen Kocher aus. Es ist zwar erst 11:30, aber ich habe Hunger. Zumal hier noch sprudelndes Wasser den Berg hinab läuft. Während ich esse, trifft die Familie auch ein und wartet mit Sicherheitsabstand an einem Felsen auf der Ebene bis ich endlich fertig bin. Den Kindern wird langsam kalt und so packe ich ein und sehe zu, dass ich weiter komme.
Nun geht es bergan. Ich wandere mit langsamen und gleichmäßigen Schritt nach oben. Nach hundert Höhenmetern erreiche ich eine Ebene. Ich halte zuerst für den Pass, aber dann sehe ich, dass es weiter nach oben geht. Die karge Landschaft aus Kalkstein sieht ganz anders aus, als was ich zuvor auf meiner Wanderung gesehen habe. Ich quere die Ebene und nehme die letzten 30 Höhenmeter in Angriff. Um 13 Uhr stehe ich auf dem Fuorcla digl Leget (2711m). Vor mir liegt auf 2691m ein besonderer See, denn normalerweise würde das Wasser durch den durchlässigen Kalkstein einfach versickern. Da hier oben aber noch Permafrost herrscht, verhindert der gefrorene Boden das vollständige versickern des Wassers.
Ich muss mich langsam entscheiden, ob und wo ich übernachten will. Für eine weitere Nacht müsste ich weit oben zelten, aber hier oben sorgen die immer noch vorherrschenden Wolken für eine feuchte Nacht. Außerdem ist es recht früh. Die Alternative ist, dass ich heute noch bis zum Marmorera-Stausee wandere und nach Hause fahre. Ich entschließe mich die Entscheidung zu vertagen und beginne mit dem Abstieg. Es geht steil abwärts in eine Wolke hinein. Es klart wieder auf und ich habe das erste Steilstück überwunden. Ich wandere nun im Bachbett der Ava da Natons durch eine enge Schlucht. Als sich Wanderweg und Bach wieder trennen übersteige ich einen elektrischen Viehzaun. Ab hier muss ich also wieder mit Kühen rechnen. Diese weiden auf in Ransung, dem Kanonensattel und auf der Alp Ses.
Um 14:15 bin ich an der nächsten Weggabelung. Hier kann ich nun durch das Val da Natons nach Marmorera absteigen. Oder ich wandere weiter auf der Höhe über den Kanonensattel nach Salategnas (Alp Flix) und von dort hinab zum Ausgangspunkt der Wanderung. Ich mache Ersteinmal eine Pause. Der letzte Postbus fährt um 18:23 Uhr. Das sollte machbar sein und so wandere ich weiter an der Südflanke des Piz Cugnets entlang. Ich schrecke einige Murmeltiere auf. Der Wanderweg scheint auch bei den Kühen beliebt zu sein und so ist er teilweise aufgeweicht. Ich komme trotzdem gut voran und erreiche bereits um 15 Uhr den Kanonensattel. Schließlich kann ich über die Ebene der Alp Flix schauen. Die südlichsten Häuser gehören zu Salategnas.
Auf der Alp Salategnas angekommen stehen die Kühe zum Melken an. Es dauert etwas, bis ich vor lauter Kühen begreife, dass ich zur Straße muss und der Weg auf der anderen Seite des Stalls entlang führt. Der Wanderweg führt nun an einem sprudelnden Bach entlang und taucht dann in den Wald ein. Es ist ein schöner Weg. Um 16 Uhr erreiche ich Gruba. Hier verlasse ich den Fernwanderweg Senda Segantini und folge dem Wegweiser nach Marmorera Scalottas. Der schmale Weg führt gerade durch den Wald. Es geht zügig bergab, bis er auf einen Fahrweg trifft.
Wenig später erreiche ich die Straße. Hier gibt es keinen Fußweg und die Bushaltestelle liegt zwei Kurven tiefer. Es ist kurz vor 17 Uhr, sodass ich einen Bus vorher erreiche. Mit mulmigem Gefühl wandere ich auf der Straße durch die erste Kurve, da es keinen anderen Weg gibt. Dann kann ich auf dem Rasen hinter der Leitplanke ausweichen. Ein Straßenarbeiter ist mit Ausbesserungsarbeiten beschäftigt und wir kommen ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er dieses Jahr zum 40-zigsten und letzten Mal auf die Hochjagd gehen will. Ich gehe über den Rasen zur Bushaltestelle und packe meinen Rucksack um. Pünktlich um 17:23 kommt der Postbus und bringt mich nach Chur.