Ein kalter Wind weht am Morgen. Auf dieser Seite des Piz Grevasalvas sieht das Wetter gut aus, allerdings kommen Wolkenschwaden über die Bergkette im Norden und auch der Pass Fuorcla Grevasalvas liegt im Nebel. Ich gehe trotzdem los, denn gestern wurde es ja auch besser. Um 15 Uhr soll es am Julierpass regnen. Bis dahin sollte ich also einen Platz für die Nacht gefunden haben. Und wenn es keinen Sinn ergibt, kann ich immer noch wieder absteigen und von Maloja nach Hause fahren.
Um 9:15 Uhr habe ich eingepackt und gehe ich los. Ich steige zur Ova dal Mullin ab und folge den Flusslauf. Kurz vor Plaun Grand treffe ich auf den ersten Wanderer, welcher mich nach Vorschlägen für eine Wandertour fragt. Ich hole meine Karte heraus und wir schauen die Möglichkeiten an. Zum Abschluss macht er ein Foto der Karte und wandert weiter zum Lägh dal Lunghin. Ich passiere die Abzweigung zum Lej Nair, quere ein Feuchtgebiet und erreiche Plaun Grand. Ein Bauer schaut auch hier nach seinen Kühen. Die grasen weit verstreut auf der Ebene. Am Punkt 2283 zweigt der Weg zum Pass ab. Der Anstieg beginnt und es wird mir schnell warm. Leckere Blaubeeren bremsen mich aus, denn ich kann nicht einfach vorbeigehen, ohne welche zu naschen.
Rund 400 Höhenmeter sind es bis zum Pass Fuorcla Grevasalvas. In gleichmäßigen Tempo steige ich auf. Oben ziehen weiterhin Wolken über die Bergkette. Die Sicht ist wechselhaft. Über den Silsersee und Silvaplanasee scheint permanent die Sonne. Ich stöbere einen grau-weißen Vogel auf, den ich nicht so richtig einordnen kann. Ein Falke etwa, aber der Schnabel sieht nicht wie der eines Greifvogels aus. Zu Hause entscheide ich mich für einen Kuckuck. Auf 2500 Meter Höhe kommen mir zwei leicht bekleidete Wanderer entgegen. Trinkwasser gibt es hier oben nicht. Ab nun geht es nicht mehr so steil aufwärts, sondern quer zum Hang.
Kurz vor dem letzten Anstieg ziehe ich im Windschutz eines großen Felsens den Windbreaker wieder an. Ich esse noch etwas. 100 Meter noch hoch, aber ab nun geht es über Geröll. Ein kalter Wind weht und weiterhin ziehen Wolkenschaden über den Pass. Als es kurz aufklart, merke ich mir die Route, damit ich ungefähr weiß, wo ich hin muss. Zwar sind die Wegmarkierungen hier im dichten Abstand angebracht, aber der Wolkennebel ist teilweise so dicht, dass selbst das nicht reicht. Nach einer halben Stunde stehe ich auf dem Pass. Eine Bank steht hier und bietet ohne Wolken bestimmt eine tolle Aussicht. Ich sehe aber nichts. Eine Frau taucht auf und verschwindet genauso schnell auf dem Grad im Nebel. Ich sehe zu, dass ich absteige.
Der Weg führt über Geröll. Am Anfang sind die Steine kleine, dann werden sie größer und es wird mühsamer. Das Grevasalvas-Tal scheint schön zu sein, aber ich kann nicht viel erkennen. Schließlich wird der Boden erdiger und bald wächst auch wieder Gras. Im Schatten einer Felswand steht eine bereits winterfest verschlossenen Hütte. Ich sehe viele Kuhfladen, aber von den Kühen ist hier oben keine Spur.
Auf 2500m fängt es plötzlich an zu nieseln. Kommt das schlechte Wetter etwa schon früher? Noch sollte ich runde 90 Minuten haben. Ich gehe weiter und werde von der Frau vom Pass überholt. Es war also doch keine Einbildung. Vorbei an einem geschützten Flachmoor erreiche ich den See Leg Grevasalvas. Ich gehe Richtung Westufer und überlege, ob ich zum Wasser absteigen soll. Aber der Nebel hängt über den See, sodass ich nur schwer erkennen kann, ob es dort unten wirklich gut ist. Laut schallt das Rauschen eines Wasserfalls über das Wasser. Ich drehe um und quere auf dem Wanderweg den Eva da Grevasalvas. Dann geht es durch eine kleine Schlucht abwärts. Unten erwartet mich eine Grasebene, die direkt an den See grenzt. Jede Menge Fladen weisen sie als beliebten Ort der Kühe aus. Diese sind aber nicht hier oben.
Ich folge den Weg weiter am Seeufer entlang. Kurz vorm Abfluss erklimme ich die Kuppe und stehe vor einer Feuerstelle. Etwas weiter gibt es einen Zeltplatz mit Blick auf See ohne den See sehen zu können. Ich höre keine Kuhglocken und wage es. Bevor es regnet, baue ich das Zelt auf. Für Trinkwasser laufe ich ein ganzes Stück zurück. Am Ende entscheide ich mich das Wasser am Ende der kleinen Schlucht aus dem Eva da Grevasalvas zu entnehmen und filtere es. Zurück am Zelt koche ich eine Kartoffelsuppe. Es ist erst 14 Uhr. Starkregen habe ich heute nicht. Es bleibt aber beim ungemütlichen Nieseln. Besucher kommen heute nicht mehr zum See. Und auch Kühe tauchen nicht auf. Ich liege im Zelt und beobachte die Nebelschwaden über den See. Am Abend lichten sich die Wolken und ich kann nicht nur den ganzen See sehen, sondern irgendwann sogar bis zum Pass Fuorcla Grevasalvas. Nach dem Abendessen strahlt sogar blauer Himmel über dem Tal. Durch das Juliertal ziehen dagegen Wolkenbänder.