Heute geht es wieder auf die Gletscher, weshalb wir bereits um 6 Uhr frühstücken. Die Nacht war unruhig, denn das Lager mussten wir mit einem lauten Schnarcher teilen. Eine halbe Stunde später versammeln wir uns abmarschbereit vor der Hütte. Die Wolken hängen tief und die umgebenden Berge schimmern nur gelegentlich durch. Hoffentlich gewinnt wieder die Sonne.
Wir folgen den Fahrweg nach Süden der uns bis zum Gletschertor des Otemmagletschers bringen soll. Über Alpwiesen nähern wir uns der Schlucht. Links gehen die Felswände steil hoch. Felsblöcke liegen auf dem Fahrweg und erinnern daran dass man vor Felsstürzen nie sicher ist. Rechts geht es steil abwärts zum Gletscherfluss Dranse de Bagnes.
Unterhalb des Gletschertors wird das Wasser in einer Wehranlage unterirdisch abgezweigt. Wir passieren das Bauwerk und gehen nun auf einem Bergwanderweg zur Gletscherzunge. Der Weg führt über Geröll immer am Fluss entlang. Die Auswirkungen der Gletscherschmelze werden auch hier wieder deutlich, wir benötigen fast eineinhalb Stunden bis wir die Gletscherzunge erreicht haben. Vor uns eine riesige Eisfläche und aus einer Höhle strömt rauschend das graue Gletscherwasser.
Gegen 9 Uhr betreten wir das blanke Eis des Glacier d'Otemma. Inzwischen scheint die Sonne und verspricht einen schönen Tag. Da die Spalten nicht durch Schnee verdeckt, sind können wir erst einmal ungesichtert gehen. Auf den dunklen Schleifspuren des Gerölls gibt es guten Halt und so bleiben auch die Steigeisen erst einmal im Rucksack.
Es geht leicht bergan und wir folgen in der Spur unseres Bergführer, sicher ist sicher. Es ist das erste Mal für mich, dass ich so auf dem blanken Gletschereis stehe. Und da wir frei gehen, gibt es genügend Möglichkeiten das Naturschauspiel zu geniessen und auch ein paar Fotos zu machen.
Am Anfang sind es unbeschreiblich viele Steine, die mit der Zeit talwärts rutschen und auf dem Gletscher ihre Schleifspuren hinterlassen. Weiter oben werden die kleinen Steine weniger, die Anzahl der grossen nicht wirklch weniger. Ganze Felsbrocken stehen auf Eissockeln und warten darauf dass dieser Sockel schmelzt um weiter zu purzeln. Dazwischen rauscht immer wieder Wasser in kleinen Flüssen talwärts. Feine, wenige Zentimeter breite, aber um so tiefere Spalten werden sichtbar.
Während ich mich noch wundere wo das ganze Wasser im Geltscher verschwindet (denn schliesslich ist weiter unten nichts davon auf dem Gletscher zu sehen) kommen wir an ein tiefes dunkles Loch. Eine sogenannte Gletschermühle ist das. Sie entsteht, wenn das Wasser um so einen Felsbrocken auf einen Sockel fliesst und langsam das Eis schmelzen lässt. Das Gewicht befördert den Stein abwärts und die Wasserwirbel sorgen für eine lokale Eisschmelze. Irgendwann ist der Felsen im Gletscher verschwunden und das Wasser fliesst durch das Innere ab. So fazinierend die Löcher auch sind, reinfallen möchte ich da lieber nicht.
Mit jeden Höhenmeter den wir gewinnen, nimmt die feine Schneeschicht zu. Die Sonneneinstrahlung lässt diese schmelzen. Da wo das Wasser nicht abfliessen kann, wir das gehen mühsam. Wie in einem Sumpf. Manchmal hält der Schnee, einen Schritt später sackt der Fuss tief ein. Gut wer hohe Garmaschen hat.
Als die Schneedecke weiter zunimmt und Löcher und Spalten nicht mehr auszumachen sind, ist es wieder Zeit für Steigeisen und Seil. Wir erreichen den Col de Chermotane. Es ist quasi der Scheitelpunkt des Gletschers. Auf der anderen Seite geht es steil bergab nach Arolla. Wir biegen links ab, hinauf auf einen Felsen. Nach einer kurzen Pause geht es weiter vorbei an den Gletschern des Pigne d'Arolla. Rechts kommt die Cabane des Vignettes in Sicht. Und weit hinten unser morgiges Ziel die Cabane de Bertol. Wir queren ein letztes Stück mit Spalten und haben dann den Col des Vignettes erreicht. Von hier sind es nur noch wenige Meter im Schatten eines Felsens bis wir vor der Hütte stehen.
Die Cabane des Vignettes ist erst 2010 neu erbaut worden und damit die modernste Hütte auf unserer Tour. Nachdem wir unsere Betten gefunden und belegt haben geht es in den Gastraum der vor allem durch den gut gelaunten Wirt gemühtlich ist. Nach so einer Tour verlangt der Körper nach ordentlicher Nahrung und da das Abendessen noch lange hin ist probieren wir das Rösti. Es sei hier ausdrücklich empfohlen. Mag sein dass wir einfach nur hungrig sind.