Früh morgens beginnt mein Kurzurlaub. In Zürich steige ich in den Zug und fahre über Arth-Goldau und Erstfeld nach Göschenen. Mit der Matterhorn Gotthard Bahn geht es durch die Schöllenenschlucht nach Andermatt. Die kurze Fahrt mit der Zahnradbahn durch die Schlucht ist schon für sich ein Erlebnis. Kurz kann man einen Blick auf die Teufelsbrücke erhaschen.
In Andermatt steige ich in den Zug nach Visp im Wallis. Dieser rattert durch den 1982 erbauten Furka-Basistunnel. Als es wieder hell wird, bin ich in Oberwald im Goms. Es ist 9 Uhr, die Sonne scheint, allerdings gibt es die Aussicht auf Regenschauer am Nachmittag. Unweit des Bahnhofs fließt die junge Rhone, welche hier noch den Namen Rotten trägt. Auf einer Bank hole ich mir beim Sachen umpacken einen feuchten Hintern.
Wegweiser sehe ich keine. Dabei zeigten dieser am Bahnhof noch hierher. Auch die andere Brückenseite ist schilderlos. Ich folge dem breiten Asphaltweg der Rotten entlang in den Ort. An der Hauptstraße stehen die typischen Holzhäuser. An der Straßenbrücke wieder keine Schilder. Ich wechsel die Flussseite und entdecke den grünen Schweiz-Mobil-Wegweiser mit der 51 für den Furka-Höhenweg. Der Weg führt über einen Hinterhof in den Pischwald. Nach der Bahnunterführung quere ich die Rotten wieder auf einer breiten Holzbrücke nach Älmi/Elmi. Der Weg führt nun auf einer alten Asphaltstraße an Bergstollen und Holzlagern vorbei. Am Straßenende wird es wieder schön. Ein schmaler Pfad führt über Wiesen und Wald zur Kapelle St. Niklaus. Zwei Augen schauen mich an und dann ein weiteres Paar. Jemand hat Baumstämmen und -wurzeln Glasaugen aufgesetzt, so daß Gesichter entstanden. Die kleine Ebene ist schnell durchwandert und es steigt nun kräftig an. Die Rhone rauscht durch ein wildes Geröllbett. Eine Sitzbank lädt zum Verweilen ein. Die ersten zwei Kilometer sind geschafft. In Gesellschaft von Schmetterlingen esse ich etwas.
Weiter geht es, immer noch aufwärts. Nach Monaten im HomeOffice fühle ich mich unendlich lahm. Noch ein paar Meter und ich erreiche die kleine weiße Kapelle St. Niklolaus. Die ersten 100 Höhenmeter sind geschafft. Erbaut wurde die Kapelle 1717 nach einem Bergsturz, welcher die Weiler Elmi, Braten und Schibochten begraben haben soll. Sie ist offen und wer will, kann sich einen Pilger-Stempel für den Pilgerweg Rhein-Reuss-Rhone holen. Dieser verbindet das Kloster Disentis in Graubünden mit dem Jakobsweg. Ich verriegel die Tür wieder und wandere nun durch einen angenehm kühlen Wald. An der Abzweigung zum Hotel Rhonequelle steht Knabenkraut.
Das Rauschen der Rotten wird lauter und schon stehe vor der Brücke über den milchigen Gletscherfluss. Auf der anderen Seite erwarten mich Feuchtwiesen. Anfang Juli blühen die Blumen reichlich. An einem Bach weihe ich meine Trinkflasche mit Wasserfilter ein. Ein Drittel der heutigen Strecke ist geschafft. Durch das enge Tal aufwärts kann ich die Serpentien der Straße zum Grimselpass sehen. Die andere Talseite teilen sich Straße und die alte Eisenbahnstrecke von 1925. Ich muss meine Socke richten und als ich den Wanderschuh wieder anziehe, bekomme ich einen Wadenkrampf. Bis nach Muttbach sind es noch 550 Höhenmeter. Das kann ja heiter werden.
Der Weg folgt nun vorwiegend der Höhenlinie. Die Sonne scheint immer noch und es ist recht warm. Auf und ab um Felsen herum windet sich der Pfad durch das Tal. Ich passiere einige Türkenbund-Lilien. Dann geht es plötzlich an einem Felsband über Stufen und mit Seilen gesichert abwärts. Unter mir rauscht die Rhone, die leider immer näher kommt, denn jede Höhenmeter abwärts muss ich wieder hoch. Auf der Straße quälen sich derweil die Wohnmobile durchs Tal. Die Straßenbrücke kommt nur langsam näher. Das ist das nächste Ziel. Die Eisenbahn wechselt ebenfalls die Flussseite und verschwindet in einem Tunnel.
Schließlich erreiche ich das Tunnelportal der Bahnstrecke. Diese führt durch einen Kehrtunnel aufwärts. Ich muss auf das Straßenniveau den Hang hinauf. Der Wanderweg führt über eine Stahltreppe auf den Tunneleingang. Ein schattiges Plätzchen mit wunderbarem Ausblick zurück durchs Tal erwartet mich. Leider ist die Trinkflasche fast leer, sonst würde ich hier meine Mittagspause machen. Steil geht es die 100 Höhenmeter hoch, dann stehe ich an der Straße. Ein Wohnmobil bremst gerade den Bergverkehr aus und so komme ich ohne Autoverkehr auf die andere Brückenseite. Nach ein paar Schritten erreiche ich einen Bach, den ich nach einem Blick auf die Karte sicher genug einschätze, um Wasser zu entnehmen. Zeit für eine Mittagspause. Ich packe den Kocher aus und koche Tee und eine Nudelsuppe. Dann mache ich es mir etwas gemütlich. Es ist kurz nach 14 Uhr und bis zum Abend ist noch viel Zeit. Als ich einpacke, habe ich wieder einen Krampf, diesmal aber bis in den Oberschenkel. Das kann ja heiter werden.
Gletsch
Bis nach Gletsch ist es nur noch einen Katzensprung. Zwischen Felsbändern durch, schlängelt sich der Weg in die Siedlung. Sie besteht vor allem aus dem imposanten Gebäude des Hotel Glacier du Rhône und dem Bahnhof der Furka-Bergstrecke. Das Hotel ist in diesem Jahr wegen Renovierung geschlossen. Trotzdem ist auf der Webseite vermerkt, dass man im Garten campen kann. Allerdings ohne sanitäre Anlagen und ich will heute bis zum Pass. Das Restaurant ist geöffnet und die Terrasse eindeutig ein Treffpunkt für Biker. Am Bahnhof ist es auch betriebsam, denn morgen fängt die Saison der Dampfbahn an. Ich quere ein letztes Mal die Rhone und folge dem Wegweiser ins Gletschervorfeld. Der Rhonegletscher selber ist nicht zu sehen, aber die über Jahrtausende glatt geschliffene Felswand ist imposant. Der Talgrund gehört überwiegend zum Bundesinventar der Auengebiete und ist damit besonders schützenswert.
Es dauert nicht lange und die Route verlässt die Ebene. Der Pfad folgt nun einer unterirdischen Wasserzuleitung. Es geht stetig bergan. Erst vor einigen Tagen wurde der Weg frei gemäht. Es ist schattig und als ich eine Trinkpause mache fallen die Mücken über mich her. Ich quere wieder die Trasse der Zahnradbahn. An der Schneetole liegt das unterirdische Wasserreservoir der Leitung. Weitere 150 Höhenmeter sind geschafft. Der kleine Bach führt noch reichlich Wasser und so habe ich Gelegenheit auch meine Trinkflasche wieder aufzufüllen. Hinter mir schieben Wolken über den Grimselpass. Regent es noch heute? Der Weg verläuft nun in unmittelbarer Nähe zur Straße. Sonst wäre es hier oben schön mit tollem Ausblick auf das Vorfeld des Rhonegletschers. So aber wandere ich weiter, Oberalpstafel und Muttbach ist nicht mehr weit.
Muttbach
Um 17 Uhr erreiche ich die Straßenbrücke über den Muttbach. Hier ist auch eine Postautohaltestelle. Auf der anderen Straßenseite stehen einige Wohnmobile. Ein älteres Paar sitzt mit Campingtisch und Stühlen vor seiner fahrbaren Unterkunft. Es sind Schweizer aus Graubünden, die anscheinend häufiger hier stehen. Wir unterhalten uns etwas. Schließlich verabschiede ich mich und gehe weiter ins Tal hinein. Ursprünglich wollte ich auf halber Höhe unterhalb des Furkapasses zelten, aber da für morgen früh Regen angesagt ist, ziehe ich es vor im Tal zu bleiben. Zum Glück sind die blumigen Wiesen noch ohne Vieh. Ich finde schließlich in Bahnhofsnähe einen Platz für die Nacht. Der Bahnhof liegt direkt vor dem Portal des Furka-Scheiteltunnels der alten Furka-Dampfbahn und besteht aus einem Fahrplan und einem Signal. Ein paar Wagons stehen noch herum.
Zu Abend esse ich Spaghetti mit Ausblick das Tal hinab. Langsam wird es ruhiger an der Passstraße. Ich verkrieche mich früh in meinen Schlafsack und hoffe, dass der Wetterbericht für morgen nicht eintritt. Bis zum Mittag soll es auf dem noch wolkenlosen Pass kräftig regnen. Der erste Zug kommt um 10 Uhr. Bis dahin sollte ich meine Ruhe haben.