Ein kalter, kräftiger Wind weht am morgen am Bajip Gohpčohkka. Wie versprochen erwartet mich draußen vorm Zelt blauer, wolkenfreier Himmel. Ich wärme mich in der Sonne und frühstücke Müsli mit frischen Blaubeeren, die ich gestern beim Aufstieg ins Guoblavággi gepflückt hatte. Um 9 Uhr ist alles gepackt und ich baue das Zelt ab. Ich blicke noch einmal von oben auf den Biwakplatz am Harpasset, aber das Zelt ist wie gestern angekündigt schon verschwunden.
Zurück auf dem markierten Wanderweg schaue ich noch ins Latnjavággi hinab und bin froh von dort unten nicht heute Morgen wieder aufsteigen zu müssen. Auch für mich geht es langsam und stetig bergan auf den Pass zwischen Bajip Gohpčohkka und Latnjačorru. Ich erreiche südlich des Bajip Gohpčohkka eine steinige Ebene mit einem Fluss und Seen. Der Fluss wird aus einem fast abgeschmolzenen Schneefeld gespeist und fließt hinab ins Latnjavággi. Steinmännchen führen mich zu einer Furt, wo ich den Wasserlauf problemlos queren kann. Es geht weiter über Felsen bergan. Die roten Farbkleckse als Wegmarkierung sind nicht immer gut zu sehen. Als ich den Wasserlauf an den kleinen See P1329 erneut quere, folge ich dem trockenen Bachbett gerade auf dem Pass hoch, wo ich wieder auf Steinmännchen treffe.
Oben passiere ich einen weiteren See P1349 und in der Ferne kann ich die Gipfel um den Šalmmečohkat nördlich des Torneträsk sehen. Um mich herum sind Steine so weit das Auge reicht. Sie sind zum Glück flach und leicht zu begehen. Der Weg führt über weiter aufwärts über die Ostflanke eines namenlosen Hügels. Nach Norden kann ich nun etwas Wasser des Torneträsk und die Berge an der Norwegisch-Schwedischen Grenze um den Stuora Jiertá erblicken. Markant hebt sich im Hintergrund der Rohkun Bihppáš ab.
Für mich beginnt der Abstieg ins Måndalen. Die karge, steinige Landschaft macht ihren Namen alle Ehre. Ich fühle mich wie auf dem Mond. Weiter unten kann ich schon das grüne Gohpasvággi und den Njullá sehen. Am See 1161 kann ich zudem schon die Schutzhütte Kåppatjåkka (Gohpáčohkka) erkennen. Südlich erhebt sich die Steilwand des Latnjačorru. Der Weg führt nun über Felsenstufen hinab und ich muss des Öfteren nach den Steinmännchen Ausschau halten. Häufig liegen hier noch Schneefelder, aber diese sind nach vielen Sonnentagen geschmolzen. Schmelzwasser plätschert neben mir die Felsen hinab. Und ich frage mich, wo es eigentlich herkommt. Schließlich sehe ich eine schräge Eisfläche nördlich neben mir, auf der zwei Rentieren stehen. Es ist das Eis des Ekmanglaciären.
Die meisten Gletscher in Schweden sind temperierte Gletscher. Temperierte Gletscher haben eine Temperatur, die um den Druckschmelzpunkt (bei 0 °C) liegt. Sie sind dadurch nicht am Gletscherbett angefroren und zeichnen sich durch ein hohe innere Bewegung aus. Bei einem kalten Gletscher dagegen ist der Großteil des Eises kälter als 0 °C und damit ist er am Bett angefroren. Diese Gletscher sind aus archäologischer Sicht interessant, da Fundstücke nicht wie in den warmen Gletschern durch die Bewegung zerstört werden.
Mit dem Ekmanglaciären gibt es so einen kalten Gletscher im Måndalen. Bei Untersuchungen 2018 wurde dort ein Rentierhorn aus der vorrömischen Eisenzeit gefunden. Der Ekmanglaciären und der dazugehörige Schmelzwassersee Ekmanjaure wurden nach dem Zoologen Sven Ekman benannt, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Studien in der Gegend von Abisko durchführte. Erst 1964 wurde der Ekmanjaure entdeckt, nachdem er zuvor ganzjährig unter Schnee und Eis verborgen war. Hatte der Gletscher 1994 noch eine Dicke von 30 Metern, wird heute nur noch mit der Hälfte gerechnet. Im Grundsten von 1989 ist noch von einem länglichen See die Rede, nun ist er mehr rundlich als lang. Interessanterweise ist der Gletscher auf der Lantmateriet-Karte nicht verzeichnet und auch der See ist namenlos (P1236).
Ich passiere den Gletscher und blicke auf eine Senke hinab. Der Abfluss des Ekmanjaure fließt über kleine Stufen durch das Måndalen hinab in Richtung Gohpasvággi. Unter mir liegt eine Ebene. Steinmännchen führen mich auf eine breite Stelle des felsigen Flussbetts. Vor dem Abstieg blicke ich noch einmal zur Schutzhütte Kåppatjåkka und sehe dort zwei Wanderer den Gohpasjohka durchwaten. Dort muss ich also wieder durchs Wasser. Ersteinmal aber der Fluss hier. Ich schaue etwas und finde eine Möglichkeit in Schuhen ans andere Ufer zu kommen.
Der Weg führt nun nördlich des namenlosen Sees P1159 entlang und quert den Gohpasjohka unterhalb wieder. Ich schaue mich südlich etwas um. Der Fluss fließt dort durch eine enge Felsenstelle und dann in den See P1159. Deshalb diese Route mit den zwei Querungen. Ich will es aber trotzdem südlich versuchen, da es kaum noch Schnee gibt. Oberhalb der Felsenrinne plätschert das Wasser breit über Steine und ruckzuck bin ich am anderen Ufer. Ich statte einem kleinen See mit einem Altschnee am Ufer einen Besuch ab und steige dann auf eine Anhöhe westlich des Sees P1161 auf. Ich habe Glück und auch wenn die Geländekante steil ist, kann ich an einer Stelle gut zum See absteigen. Der Seeabfluss stellt kein Hindernis dar. Über eine Kette von Steinen komm ich ans andere Ufer, wo die Hütte steht.
Zeit für die Mittagspause. Die mache ich auf einem Felsen am Ausfluss vom See P1159. Die Socken sind nassgeschwitzt und die Füße freuen sich über ein Eisbad im Wasser. Thai-Nudeln gibt es heute und anschließend noch einen Früchtetee. Am Berghang gegenüber kann ich wieder ein Rentier auf einem Schneefeld beobachten. Es ficht einen Kampf mit unsichtbaren Insekten, läuft irgendwann zum Gohpasjohka und nach einer großen Runde wieder zurück zum Alt-Schneefeld. Gegen 14 Uhr wandere ich weiter. Morgen will ich über den Pass zwischen Njullá und Slåttajåkka (Šloahtta) nach Abisko. Mein Plan für heute ist, am Südufer des Gohpasjohka zu zelten. Ich will dabei möglichst nah an den Weg, der vom Gorsavággi über die Lücke Lulip Čáhcenjoaski führt, kommen. Auf diesem Weg will ich morgen dann weiter wandern.
Nun muss ich aber erst einmal das nächste Steinmännchen finden und der Schutzhütte Kåppatjåkka will ich noch einen Besuch abstatten. Die einfache Schutzhütte steht auf der Erhöhung zwischen Gohpasjohka und See P1161. Sie hat zwar ein neues Dach, aber Ritzen in den Wänden. Um einen Holztisch stehen improvisierte Bänke aus Steinen. Der Boden ist sauber, aber gemütlich ist anders. Ich schließe die Tür und folge den Steinmännchen nach Westen.
Noch immer ist das Tal steinig, aber immer mehr grün schimmert durch. Der Gohpasjohka stürzt neben mir über ein paar Felsenstufen und fließt in einer 90°-Kurve nach Südosten. Vom Nordhang stürzt ein Bach hinab. Weiter oben steht erneut ein einsames Rentier auf einem Schneefeld. Trotz karger Landschaft ist es wirklich schön hier, zumindest wenn das Wetter stimmt. Ich quere eine kleine Ebene und kann dann ins Tal vor mir schauen. Was für ein Wechsel. Floss der Gohpasjohka eben noch im felsigen Flussbett eingeengt, mäandert er nun über Kiesbänke und grüne Wiesen im breiten Talgrund. Vor läuft ein junges Rentier umher und ruft nach seiner Mutter. Ich bleibe erstmal stehen und sondiere die Lage. Der Weg führt hinab auf die breiteste Stelle und quert über Flussarme und Inseln auf die nördliche Flussseite. Da ich aber dann erneut queren muss, überlege ich querfeldein am südlichen Ufer entlang zu Wandern. Das sollte gehen. Inzwischen wurde das Kalb von Mutter-Rentier gehört und sie sind wiedervereint. Ich bleibe auf halber Höhe, wo mir der Grund trocken erscheint. Mit Blick auf die Lücke Alip Čáhcenjoaski folge ich dem Gohpasjohka. Immer im Schatten der östlichen Steilhänge des Latnjačorru.
Der Boden ist teilweise sehr nass und aufgeweicht, denn hier auf der Nordseite haben sich die Schneefelder länger gehalten und sind teilweise noch vorhanden. Der Talgrund ist aber schneefrei. Dafür wachsen auf einigen Flächen Moose, die in allen Grüntönen leuchten. Ich wandere im Zickzack um diese Flächen herum. Dann stehe ich vor einem steilen Geröllfeld mit matschigem Untergrund. Ich frage mich, ob es sich hier um Auftauboden des Permafrost handelt. Oberhalb liegt zudem ein Alt-Schneefeld, welches noch Wasser in die Erdpampe abgibt. Ich gehe etwas zurück und quere die Eben unterhalb von feinen, aber festen Kiesboden. Noch einmal blicke ich hoch und entdecke am oberen Rand des Alt-Schneefeldes eine kleine Rentierherde. Sie stehen still im Schatten der Felswand, weshalb ich sie nur zufällig entdeckt habe. Ein Stückchen weiter erwartet mich eine Grasfläche, über die ebenfalls Wasser des Schneefeldes abfließt. Langsam habe ich das Gefühl auf der anderen Flussseite wäre ich deutlich schneller vorwärtsgekommen.
Der Gohpasjohka fließt erneut eine Geländestufe in einer Schlucht hinab und ist für mich nicht mehr einsehbar. Ich nähere mich den Resten eines hängenden Gletschers. Davor gibt es einen trockenen Bach zu queren, dessen Bachbett aus ungewöhnlich hellen Steinen besteht. Auch Felsen im Gohpasjohka sind nun fast weiß gefärbt, dabei sind die umgebenen Felsen alle dunkel. Auch der Gletscherrest an der Ostseite des Latnjačorru ist nicht in der Karte eingezeichnet. Das blanke Eis ist an der Rendern zerklüftet. Unterhalb nicht liegt im Schatten noch Altschnee. Während ich den Gletscher bewundere, kracht es plötzlich. Ein großes Eisstück ist herab gestürzt.
Der Gohpasjohka wechselt noch einmal in der breiten Kurve die Richtung und verzweigt sich wieder in mehrere Arme. Auf den Inseln in der Außenkurve wächst Wollgras. Das Ufer ist auf meiner Seite leicht verblockt, aber auch das letzte Stück an der Ostseite des Latnjačorru stellt kein Problem dar. Noch will ich dem Flusslauf folgen, da aber viele Steine am Ufer liegen und es auch teilweise sumpfige aussieht steige ich weiter im Hang auf. Vor mir liegt der Njullá und ich sehe den Pass, wo ich morgen hoch muss.
Es geht wieder über felsige Geländestufen bergab und der Gohpasjohka verschwindet in einer Schlucht. Auch der Boden wird wieder steinreicher und so langsam muss ich mich nach einem Zeltplatz umschauen. Zwar ist vom Lulip Čáhcenjoaski kommend ein Bach auf der Karte eingezeichnet, aber ob der Wasser führt ist alles andere als sicher. Plötzlich stehe ich an einer Felskante. Unterhalb liegt die nächste Ebene mit Heidebewuchs und auch an den Gohpasjohka komme ich einfach ran zum Wasserholen. Ich muss nur noch sicher hier herunterkommen. Auf den zweiten Blick findet sich eine einfache Route nach unten. Ich gehe noch zu nächsten Stufe, aber unterhalb liegen deutlich mehr Steine und der Gohpasjohka fließt wieder schwer erreichbar in einer Schlucht.
Neben mir liegt schon die Lücke Lulip Čáhcenjoaski. Es ist halb sechs als ich mich für einen Flecken auf der großen Fläche entschieden habe und das Zelt ein letztes Mal aufbaue. Als letztes Abendessen gibt es heute Cous-Cous. Dazu eine Tomatensoße mit Datteltomaten, Paprika und etwas Chillipulver und einen Rote-Beete-Salat.